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Das filmische Gemälde eines kleinen Dorfes in Pakistan - einem Land, gezeichnet von Gewalt, Terror und religiöser Intoleranz. Doch Poloni ist ein poetisches Portrait gelungen, das vom Alltag dieses Dorfes erzählt - jenseits von Thesen und Vorurteilen. Die Realität ist zwar komplizierter als eine Zeitungsmeldung, aber auch reicher. |
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Text Semaine de la Critique Locarno: Die erste Szene dieses Films erinnert entfernt an Fellinis Meisterwerk Amarcord mit dem Mann auf dem Baum und seinem inbru¨nstigen Ruf: «Voglio una donna!» Hier nun la¨uft ein Mann mit seiner kleinen Kuhherde u¨ber Land und schreit in regelma¨ssigen Absta¨nden «Ich bin Junggeselle, ich bin Junggeselle!». Wir sind aber nicht in Italien, sondern auf den Strassen von Mulhapar, einem Dorf in Pakistan. Im Zentrum des Films stehen zwei Ma¨dchen im fru¨hen Teenageralter, beste Freundinnen. Die eine Muslima, die andere Christin. Sie und ihre Familien geho¨ren zu den A¨rmsten im Dorf, na¨hen Fussba¨lle, arbeiten im Tagelohn in den Reisfeldern oder als Bedienstete fu¨r eine der reichen Familien, um ihren kargen Lebensunterhalt zu bestreiten. Gema¨chlich nimmt Paolo Poloni uns mit in dieses Dorf, la¨sst uns am Alltag seiner Protagonistinnen und Protagonisten teilhaben. So lernen wir sie und ihr Dorf langsam kennen, die Sorgen, die Leidenschaften, die Beziehungsgeflechte, die Dorffeste und kleinen und grossen Dramen. Der Regisseur hat selber hinter der Kamera gestanden. Seine Bilder sind so eindru¨cklich und intensiv, dass wir den Morgennebel auf der eigenen Haut zu spu¨ren glauben oder von der stechenden Mittagssonne auf den Reisfeldern geblendet werden. Der Film zeigt pakistanischen Alltag fern von Zeitungsmeldungen, wie wir sie u¨blicherweise lesen. Die Ordnung im Dorf Mulhapar ist strikte und klar: Fu¨nf grosse muslimische Familien besitzen praktisch alles, der Rest lebt in Armut. Eine kleine Gemeinde von Christen dient seit Jahrzehnten diesen Familien, ohne selber Land besitzen zu du¨rfen. Sie ist geduldet, hat im Dorf ihre eigene kleine Kirche, feiert ihre eigenen Feste. Poloni lenkt unseren Blick auf die Details, auf die Hand des muslimischen Grossgrundbesitzers, die auf dem Bein eines christlichen Landarbeiters liegt, um diesen still zu halten. Auf die Weihnachtsfeier, die uns wegen der Gesa¨nge und Trommeln so fremd vorkommt. Dem ruhigen Lauf des Alltags stehen dramatische Momente gegenu¨ber, ein kriminelles Ereignis, grosse Feste, ein ungewo¨hnlicher Besuch von transsexuellen Hijras, der dem leisen Filmportra¨t nochmals einen weiteren skurrilen Fellini-Moment beschert. Am Ende haben wir das Gefu¨hl, einen neuen Ort und die Menschen dort kennen gelernt zu haben. Wir fragen uns, was wohl aus den beiden besten Freundinnen aus zwei Religionen werden wird, die am liebsten einmal auf dem gleichen Friedhof begraben wa¨ren, obwohl das nicht geht. Und wir behalten den Ruf des Junggesellen im Ohr, der immer noch keine Frau gefunden hat. (Brigitte Häring) |